In der Reihe „Berlin-Leipzig-Berlin-Leipzig-und so weiter“ präsentieren wir euch unsere Erlebnisse der einwöchigen Ausdauerbahnfahrt zwischen Berlin und Leipzig. Diesmal unterwegs im wunderschönen Bitterfeld:
Ein wenig Angst hatten wir ja schon, nun wirklich in Bitterfeld auszusteigen. Vieles hatte man von der Stadt gehört, Gutes war selten dabei. Warum sollten wir also nun aussteigen? Zum einen wollten wir uns zum Bitterfelder Weg vor Ort erkundigen, zum anderen planten wir, einen neuen Trend zu starten: In Bitterfeld zum Frisör zu gehen. Hehre Ziele gehörten schon immer zu unseren Spezialitäten.
Auf dem etwas langen Weg vom Bahnhof in die Innenstadt starteten wir unseren Bilderbogen der Stadt, unterlegt mit atmosphärischer Geräuschkulisse: Sounds of Bitterfeld. Wir sammelten Geräusche der Stadt und spickten diese Aufnahmen mit Bildern.
Soweit war Bitterfeld eine typische deutsche Kleinstadt und dieser Eindruck verstärkte sich, als wir ein älteres Ehepaar nach einem Restaurant oder einem schönen Platz in der Stadt fragten. Zuerst empfahlen sie uns ein Restaurant in dem es Tiefkühlkost gab, um sich dann an einen Ort namens „Sehnsucht“ zu erinnern. Ein Ort, von dem im weiteren Tagesverlauf noch einige Bitterfelder schwärmen sollten. Auf der Suche nach diesem magischen Ort durchstreiften wir die trostlose Fußgängerzone, die mit Imbissen vollgestellt war. In einem Asialaden kauften wir uns einen gesunden Obstsnack und zum Abschied rief uns die Inhaberin „Bis zum letzten Mal!“ hinterher. Wir bekamen es mit der Angst zu tun.
Doch eine Insel der Kultur tauchte vor uns auf: Das Kreismuseum Bitterfeld. Nach Eintreten bat uns ein Schild, auf einen Mitarbeiter zu warten und nach ein paar Minuten tauchte auch schon jemand auf. Auf unsere Frage nach dem Bitterfelder Weg wurde sich nicht nur für das Fehlen dieses Themas im Kreismuseum entschuldigt, sondern obendrein in vorauseilendem Gehorsam das Fehlen der Aufarbeitung der gesamten DDR-Geschichte auf den örtlichen Personalmangel geschoben: „Unsere Geschichte endete ja 1922.“ Das einzige, was noch erwähnenswert war in Bitterfeld nach 1922, war die Erfindung des Farbfilms. Was aber strenggenommen in Wolfen und nicht im damals noch separaten Bitterfeld geschah. Da es nichts zu erfahren gab über den Bitterfelder Weg, machten wir uns auf und erkundeten weiter die Stadt und suchten die „Sehnsucht“, die in der Nähe der Goitzsche liegen sollte. Eigentlich heißt die Goitzsche „Großer Goitzschesee“ und er schien für viele Einwohner das Beste an Bitterfeld zu sein, denn man wies uns immer gleich in die Richtung. Wir folgten diesen Wegweisen und fanden dort eine von Schwänen umringte Bank zum Ausruhen. Die Sehnsucht wartete auf uns am Horizont, doch in der Nähe gab es ein weiteres Restaurant mit ebenso schönem Ausblick über die Goitzsche, also besuchten wir – faul wie wir sind – lieber dieses. Laut Speisekarte sollte das mit Wasser gefüllte Tagebaurestloch die Bitterfelder für Jahrzehnte mit Staub, Dreck und Chemie entschädigen. Und wenn man sich im Restaurant umschaute, schien man hier wirklich sehr zufrieden mit der jüngeren (nichtexistenten) Geschichte Bitterfelds zu sein. Dank ein bisschen Wasser.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof wagten wir einen verzweifelten Versuch, Postkarten von Bitterfeld zu kaufen. In drei Geschäften ließ man uns abblitzen und so kehrten wir zum Kreismuseum zurück. Wieder erwartete uns das Schild, das uns bat zu warten. Der Bufdi war leider nicht autorisiert, Postkartenverkäufe vorzunehmen, beziehungsweise wusste er auch nicht, ob es überhaupt welche gab. So rief er die andere Mitarbeiterin, die uns mit einem „Ach, sie sind die beiden Herren, die sich mit dem Kollegen bereits besprochen haben.“ begrüßte. Für so ein spannendes Ereignis hatten wir unser Nachfragen im Museum nicht gehalten, aber anscheinend war man unter den Mitarbeitern dann doch verwundert, dass überhaupt Menschen einfach so dieses Museum besuchen. Für ein paar Euro erhielten wir nun Nachdrucke alter Bitterfelder Karten und eine sorgfältig ausgefüllte Quittung für unsere Spesenabrechnung. Dankbar verabschiedeten wir uns vom Museum und von der Stadt, nahmen im Erste-Klasse-Abteil der S-Bahn nach Leipzig Platz und beschrifteten die Postkarten. Eine Karte mit dem Motiv Kreismuseum Bitterfeld ging an das Kreismuseum Bitterfeld mit einem simplen“Bleibt tapfer!“.

Außerdem erfanden wir ein neues Literaturgenre: Bitterfelder Museumserotik. Kostproben sollen im Folgenden gegeben werden:
- „Nimm mich hier und jetzt auf dem Stadtmodell von 1985!“, rief sie und warf sich auf die Tischplatte. Er zögerte keine Sekunde und so liebten sie das Modell der Stadt 40 Jahre in die Vergangenheit.
- „Dirk, lass es uns noch ein weiteres Mal in der Militaria-Ausstellung tun!“ „Aber Jutta, was, wenn jemand kommt?“, fragte er zögerlich. Dann lachten sie beide und gingen ins oberste Stockwerk.
- Dirk und Jutta machten sich daran, die DDR-Geschichte aufzubereiten. Doch immer, wenn Dirk von den kultur-ästhetischen Zielen des Bitterfelder Wegs zu sprechen begann, hielt es die beiden nicht mehr lang an ihrem Schreibtisch und sie fielen geradezu übereinander her.