Unser Abenteuer beginnt

In der Reihe „Berlin-Leipzig-Berlin-Leipzig-und so weiter“ präsentieren wir euch unsere Erlebnisse der einwöchigen Ausdauerbahnfahrt zwischen Berlin und Leipzig. Wie alles begann:

Berlin, Hauptbahnhof, 14. November 2015, 11:03 Uhr. Hier und jetzt sollte unsere Reise beginnen. In Anlehnung an das nordsorbische Sprichwort „Zwei Schritt‘ vor und zwei zurück, Stillstand ist das wahre Glück“ bestand unsere erste Reisehandlung in einer Verschnaufspause und einem Kaffee. Daher war die erste Aktion unserer Reisewoche auch das Aufsuchen der DB Lounge. Aus sicherer Quelle wussten wir, dass man dort als bessere Menschen (BahnComfort Kunden und Erste-Klasse-Reisende) Kaffee und Softdrinks erwarten konnte. Und so trafen wir uns einige Meter von der DB Lounge entfernt, um diese fremde Welt erst ein wenig zu beobachten, bevor wir sie zu unserem neuen Naturell machen sollten. Was soll man sagen? Auf den ersten Blick schien nichts, aber auch wirklich gar nichts daran verwunderlich. Wie fast jedes andere Etablissement im Berliner Hauptbahnhof war auch die DB Lounge ein schnöder Glaskasten, der nur durch eine Schiebetür die äußere Hektik von der inneren trennt.

Stani und Piotr vor der DB Lounge in Berlin
Stani und Piotr vor der DB Lounge in Berlin

Ein letztes Mal blickten wir auf unsere Zugtickets, nickten uns kurz, aber entschlossen gegenseitig zu und gingen dann den für uns vorbestimmten Pfad: Die automatische Schiebetür gab, von unserer schieren Entschlossenheit beeindruckt, den Weg ins Innere der Lounge frei. Empfangen wurden wir von den wachsamen Augen einer uniformierten Bahnmitarbeiterin, der wir gleich stolz wie Oskars unsere Tickets entgegenreckten. Mit einem fast zu einfachen „Alles klar.“ wurden wir durchgewunken und standen folglich leicht enttäuscht und etwas verloren in der Lounge.

Überall saßen normale Menschen in Outdoorkleidung und mit Koffern herum, redeten laut aufeinander ein, holten sich am Kaffeeautomaten Heiß- und an der Zapfstation Kaltgetränke und verhielten sich auch sonst recht unspektakulär. Sollte das schon alles gewesen sein? Wir wollten uns gerade zum Kaffeeautomaten aufmachen, als unser Blick von einem gleißenden Licht gefangen wurde, das aus einem schmalen Durchgang im hinteren Bereich der Lounge fiel. Im Gegenlicht sahen wir vor diesem Durchgang einen Bahnmitarbeiter hinter einem Katheder, der ordentlich aufpasste und alle Durchgehwilligen kontrollierte. Dort musste er sein: Der Bereich für die Erste-Klasse-Kunden! Wir näherten uns vorsichtig diesem Koloss von Rhodos, der dort Wache schob. Auch hier reckten wir unsere Tickets vor, welche den strengen Blick des Mitarbeiters sich aufhellen ließen, und er hieß uns freundlich und herzlich willkommen.

Hier auf der anderen (lies: besseren) Seite war es schon deutlich ruhiger und leerer; und bevor wir auch nur die Chance hatten, uns zu orientieren, eskortierte uns bereits eine freundliche Dame zu zwei Sitzplätzen. Diese Aufmerksamkeit schmeichelte uns und war doch zugleich merkwürdig selbstverständlich. „Darf ich Ihnen etwas bringen?“, fragte sie uns und wir waren leicht überrascht, da wir – wie im Zweite-Klasse-Bereich – einen Selbstbedienungsgetränkeautomaten erwartet hatten. „Was gibt’s denn?“, fragten wir also unhöflich zurück, als Antwort „Café, Cappuccino oder Cola“ erwartend. „Café, Cappuccino oder Cola“, kam es auch selbstredend zurück, „Oder möchten sie gern einen Latte Macchiato, ein Sektchen und ein Sandwich zum Frühstück?“. Wir waren sprachlos. Die Bahnmitarbeiterin hielt unser verdutztes Schweigen für Unzufriedenheit mit der Auswahl und ergänzte „Wir haben auch noch Linseneintopf“. Verunsichert und vorsichtig bestellten wir erst einmal nur einen Cappuccino und ein Sandwich. Das Getränk war ja sicher umsonst, aber wer konnte ahnen, was so ein Sandwich hier kostete! Und so saßen wir da, bei Kaffee und Sandwich in der DB Lounge, in unserem neuen Leben, in einer uns fremden Realität. Wobei es ein wenig so wirkte, als wäre dieser Cappuccino mit einer ordentlichen Maschine und Liebe gemacht worden und nicht einfach aus einem Automaten entnommen. Als die Dame wieder in der Nähe war, fragten wir also vorsichtig nach, ob dieses Essen und generell das Dargereichte denn etwas kosten würde. Was sie glücklicherweise und mit einem etwas verschmitzten Lächeln verneinte. So ließ es sich doch leben!

Der Erste-Klasse Bereich in der Berliner DB-Lounge
Der Erste-Klasse-Bereich in der Berliner DB Lounge

Aber wir mussten los. Wenn wir wirklich den Beweis antreten wollten, dass dem Terrorismus, der Europa in jenen Tagen fest im Griff hielt, nur mit einem normalen (naja, fast normalen) Leben begegnet werden muss; beziehungsweise, wenn wir unseren Zug um 11:51 Uhr erwischen wollten. Ein mulmiges Gefühl beschlich uns, als wir uns mit einem „Bis später!“ verabschiedeten, ohne etwas zu bezahlen. Und wirklich! Man ließ uns einfach passieren! Essen und Getränke waren wirklich umsonst in diesem Teil der Welt. Jetzt stellte sich nur noch die Frage, ob die Bahn uns auch die ganze Woche durchfüttern oder uns doch irgendwann aus der Lounge werfen würde.

Ein Organisationsproblem, das wir nicht einkalkuliert hatten, traf uns nun mit Wucht: Die Lounge liegt im Berliner Hauptbahnhof etwa im Hochparterre, der ICE nach Leipzig fährt aber in der Regel von den Bahnsteigen im Untergeschoss ab. Wertvolle Minuten, die wir von unserer 3/4 Stunde Wartezeit auf den nächsten Zug zurück abziehen mussten und nicht in die Ausbeutung der Lounge investieren konnten. Das bedeutete also, wir mussten uns sputen. Und in diesem Moment besonders, waren wir doch spät dran.

Und der ICE tat, was Züge eben so tun: Er fuhr pünktlich in den Bahnhof ein und öffnete seine Türen. Wir kletterten in die Erste Klasse und ließen uns in die breiten Ledersessel sinken. Endlich wieder Ruhe. Und es war genau so, wie wir es uns immer vorgestellt hatten; mit der Ausnahme, dass Menschen wie wir hier im VIP Bereich saßen und nicht Menschen in Business- und Königskleidern. Nachdem wir eine kurze Runde im Pool gedreht und eine Massage genossen hatten, kam auch schon der Schaffner vorbei und kontrollierte streng, ob wir denn überhaupt aufenthaltsberechtigt seien. Auch hier hellten sich nach dem „Erkennen“ die Gesichtszüge auf und mit einem angedeuteten untertänigen Nicken verabschiedete er sich. Wir fühlten uns wohl, was auch daran lag, dass uns der Schaffner bei einer neuerlichen Runde mit Gummibärchen und einer Auswahl an Zeitungen zu beglücken suchte (mit Erfolg). Auch bot er an, Essen und Getränke aus dem Bordrestaurant uns an den Platz zu bringen. Aber da dies im Gegensatz zur Lounge nicht gratis war (außer der Transport), schlugen wir sein Angebot aus und übten uns in Geduld. Eine Stunde sollte sich schließlich überbrücken lassen. Und so schauten wir aus dem Fenster, in die Mobil, hielten leichte Konversation und es verging diese aufregende erste Fahrt recht ereignislos, und doch wie im Zuge.

Momentaufnahme unserer ersten Fahrt.
Auf unserer ersten Fahrt. Im Hintergrund: Berlin Lichterfelde.

Nach der Ankunft in Leipzig machten wir uns gleich auf die Suche nach der hiesigen Lounge. Hatten wir doch eine Stunde und 17 Minuten zwar mit Überraschungsgummibärchen, aber ohne ausgezeichneten kostenlosen Kaffee verbringen müssen. Doch welch Schreck fuhr uns in die Glieder! So hat zum einen die Deutsche Bahn die ehemalige Wartehalle an einen Buchladen vermietet (verschenkt?) und deswegen ihre Lounge für ihre besseren Kunden im hintersten dunkelsten Eck des riesigen und wunderschönen Leipziger Bahnhofs untergebracht. Zum anderen gibt es dort nur einen gemeinsamen Bereich für Erste- und Zweite-Klasse-Menschen! Infam! Ein mieser Abklatsch der Berliner Lounge! Ein Trauerspiel! Unsere Euphorie, die wir in Berlin und noch auf der Fahrt gespürt haben – beinahe war sie verflogen. Wir mussten uns sogar selbst Automatencappuccino und einen Softdrink holen! Kraftlos und desillusioniert ließen wir uns in die abgeschabten roten Loungesessel sinken und überlegten, die gesamte Woche einfach in Berlin zu verbringen.