In der Reihe „Berlin-Leipzig-Berlin-Leipzig-und so weiter“ präsentieren wir euch unsere Erlebnisse der einwöchigen Ausdauerbahnfahrt zwischen Berlin und Leipzig. Diesmal berichten wir von unseren kulturellen Eskapaden:
Am Abend des zweiten Tages unseres Abenteuers hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zum großen Kulturempfang nach Friedrichshain geladen. Opportunistisch – wie man es von dieser Partei gewohnt ist – hatte sie also, um sich schon einmal frühzeitig mit uns gut zu stellen und die SPD-Granden mit uns in Kontakt zu bringen, auch einen Repräsentanten vom Grantlfanten eingeladen. Da ein Grantlfant aber ungern allein loszieht, beschlossen wir, unser Glück zu versuchen und für zwei Personen Einlass zu fordern. Leicht verunsichert waren wir dann aber doch, als wir an der Galerie BOX FREIRAUM ankamen, denn die gesamte Umgebung war großräumig mit Polizeiautos und Polizeimenschen vollgestellt. Es überkam uns die leise Angst, dass die Einladung eine Falle gewesen sei und dies nun das jähe Ende unseres Abenteuers bedeuten könnte. Wir versicherten uns noch einmal gegenseitig, dass wir einander niemals verraten würden und schritten – da diese Geschöpfe Furcht und Angstschweiß sofort wittern – selbstbewusst und erhobenen Hauptes, als ob wir ganz normale Menschen wären in Richtung Eingang.

Dort stellten wir unsere Forderung nach gemeinsamen Einlass, woraufhin die strengen Kontrolleure noch einmal skeptisch nachfragten, wer wir denn seien und man forderte und kontrollierte unsere Ausweise. Mit der Ermahnung, dass mit diesem Extragast der Saal nicht mehr ausreichend bestuhlt sei und Piotr also stehen müsse, hieß man uns dann doch willkommen. Angemerkt sei, dass Piotr bereits zu diesem frühen Zeitpunkt plante, sich dennoch hinzusetzen und vorzutäuschen, dass auch er ein geladener Gast sei. Soll der Heiko Maas doch stehen! Der Erste-Klasse-Status, den wir in der Bahn genießen durften, stieg uns bereits zu Kopfe. Im Übrigen sei vermerkt, dass es zwar das erhöhte Polizeiaufgebot rund um den Block gab, aber beim Einlass ausgerechnet beim Uneingeladenen nicht einmal der schwere Rucksack kontrolliert wurde. Wie einfach wäre es gewesen, bspw. Sigmar Gabriel oder gar Andrea Nahles auf das Gelände zu schmuggeln!
Und so fanden wir uns umringt vom who-is-who der deutschen Medien und Politlandschaft: Neben den Etablierten wie Wolfgang Thierse, Heiko Maas und Thorsten (gesprochen mit englischem „th“) Schäfer-Gümbel fanden sich auch Neuproletarier wie die Supernanny, Clemens Schick und die deutsche Stimme von Sophie Marceau nebst dem dazugehörigen Menschen im Saal. Die meisten der Anwesenden waren aber sicherlich Praktikanten, willfährige Journalisten und Schmarotzer wie wir, die es einzig darauf abgesehen hatten, Kultur und Essen abzugreifen und ansonsten einer darbenden Partei genüsslich bis verzweifelt bei ihrem Untergang zuzusehen. So war es auch heute wieder Teil unseres Plans, durch viel Fressen und Saufen größtmöglichen Schaden anzurichten. Die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen sprechen für uns.
Auf die Kultur beim Kulturempfang mussten wir nicht lange warten. Nachdem wir es uns mit Sekt auf den Stühlen am rechten Rand bequem gemacht hatten (Heiko Maas hatte sich bereits in der ersten Reihe einen eigenen Platz mittels Handtuch reserviert), ging es auch schon los. Auf Vortrag folgte Vortrag, natürlich tagespolitisch aktuell; Interessierte mögen sich hier erkundigen, was alles gesagt wurde (Spoiler alert: Paris! Terror! Freiheit! Jetzt erst recht!). Lediglich Frau Akyün und Herr Thierse stachen positiv heraus, und auch Avi und Ahmed schafften es, uns mit ihrer Musik zu begeistern. Ansonsten ließ man für uns zwischendurch Kinder Ausdruckstanz tanzen; Piotr der Kulturbanause wusste dies nicht zu schätzen und wartete ungeduldig auf das Ende der Veranstaltung. Beziehungsweise auf Essen und Getränke, er war seit der letzten Mahlzeit in der DB-Lounge bereits ausgezehrt und leicht gereizt. Für Kurzweil sorgte dann zum Glück noch der ausbrechende Tumult, als sich Sigmar Gabriel gemeinsam mit seiner prätorianischen Leibgarde den Weg in den Saal und zur Bühne bahnte. Ein Vizekanzler hat erstaunlich viele Sicherheitskräfte um sich geschert. Das Regime scheint bereits in der Defensive zu sein und wir konnten die Angst beinahe vor uns spüren.
Als alles zum Thema Kultur gesagt war, oder man zumindest nicht mehr zu sagen wusste, wurde der gemütliche Teil des Abends eingeläutet, und zwar mit einer sehr alten Glocke, deren Geschichte wir vergessen haben. Da wir Hunger hatten, nicht warten wollten und sowieso von Scham befreit sind, waren wir mit die ersten am reichhaltigen Buffet. Der Sigmar-Gabriel-und-Essen-Gag an dieser Stelle wurde bereits vor dem ersten Schreiben gestrichen. Schon in der Warteschlange betrieben wir Konversation wie die Profis und unterhielten uns mit der Managerin der beiden Musiker. Im späteren Verlauf des Gesprächs gaben Avi und Ahmed dann (hinter vorgehaltener Hand) zu, dass sie von der SPD natürlich wesentlich mehr Geld genommen haben, als sie zum Beispiel einem nordsorbischen Kulturverein abknüpfen würden. Wir waren zu Tränen gerührt, dass es doch noch so ehrbare Menschen auf dieser Welt gibt.

Weil man Sigmar Gabriel von uns abschottete, wir ein wenig Angst vor den Erziehungsmethoden der Supernanny hatten und wir keine Lust hatten, den für sich allein und im Abseits stehenden, ausnahmsweise mit ordentlichen Schuhen bekleideten Cherno Jobatey fertigzumachen, setzten wir uns lieber gemütlich unter eins der zahlreich die Wände schmückenden erotisch-pornographischen Bilder. Ein älterer Herr wurde auf dies durch uns kreierte Szenario aufmerksam und bat uns, dass er uns mit seiner Analogkamera ablichten dürfte. Geschmeichelt gaben wir Photomodelle natürlich unsere Zustimmung. Das Eis war gebrochen, wir gesellten uns zu ihm; er schien der einzig Normale neben uns im Raum zu sein, was sich auch in seiner Aussage bestätigte, dass er lediglich wegen seiner Frau hier wäre. Er hatte auch ein Tagebuch dabei, in das er schreibt, malt und eben seine Photos einklebt. Auch hatte er bereits herbstliches Laub getrocknet und eingefügt und zeigte uns den darauf erkennbaren trockenen letzten Sommer. Hunderte dieser Bücher habe er bereits zu Hause, berichtete er und wir hegten keinerlei Zweifel an seiner Aussage, denn allein von diesem angebrochenen Abend wurden bereits sieben Seiten gefüllt. Auf Nachfrage, ob seiner Frau das nicht zuviel würde, gab er zähneknirschend zu, dass gerade die Kosten für die Filme ein dauernder Streitpunkt seien. Sprach es und knipste eine Frau unter einem der Bilder. Wir durften sogar – nach dem Versprechen, keinen der Texte zu lesen – ein wenig blättern und fanden viel Gutes und Schönes. Welch Kontrast zu dieser Veranstaltung!
Und da es wirklich schwerlich besser werden konnte – als sich der Saal langsam leerte, rückte auch noch Thorsten Schäfer-Gümbel gefährlich nah an uns heran und es wirkte, als wolle er uns ein Gespräch aufdrängen – beschlossen wir noch ein letztes Bier zu trinken und uns auf den Heimweg zu machen, wo schon Mikław auf unseren Bericht wartete.
